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„Werden wir in fünf Jahren unsere Brillen immer noch so kaufen, wie heute?“ Diese Frage stand im Mittelpunkt des 50. Kolloquiums der Fielmann Akademie Schloss Plön. 700 Teilnehmer lauschten den Expertenvorträgen, die Zukunftsszenarien einer digitalisierten Augenoptik diskutierten. Marc Fielmann erklärte in seiner Keynote, warum sein Unternehmen mit viel Einsatz den Online-Brillenkauf perfektionieren will.

Gleich zu Beginn dieses Artikels soll eines gesagt sein: Wenn Marc Fielmanns Rede eine Botschaft hatte dann diese: Wir arbeiten nicht an Online-Brillen, weil wir das als Augenoptiker gut finden – sondern weil die Kunden es so wollen.

Die Online-Bestrebungen von Fielmann gehen derzeit dahin, einfache Korrektionsbrillen auch online bestellbar zu machen – in verlässlicher Qualität. Allerdings wird entlang der Customer Journey den Onlinekunden geraten, eine Fielmann-Niederlassung aufzusuchen und dort ihre Augen vermessen zu lassen. „Langfristig rechnen wir bei Brillen mit einem Anstieg des Versandanteils auf etwa 10 Prozent“, sagte Marc Fielmann – also eher mit Omnichannel-Vertrieb statt mit einem reinen Onlinegeschäft. Schon heute nutzen mehr als 70 Prozent der Kunden beim Brillenkauf digitale Services, wie die Online-Terminvereinbarung oder die Online-Nachverfolgung des Einkaufs. Für die Auswahl und Anpassung einer Brille führt derzeit jedoch noch kein Weg am stationären Geschäft vorbei. Denn: „Die Brille aus dem Online-Shop ist ein Zufallsprodukt.“

Fielmann gestaltet digitalen Wandel, statt ihn anderen zu überlassen.

Die Wahrscheinlichkeit einer Fehlzentrierung ist bei der Online-Brille gegeben, weil viele individuelle Parameter eines Kunden hineinspielen, die nicht oder nur unzureichend berücksichtigt werden können. Je mehr solcher Risikofaktoren bestehen (von Auffälligkeiten bei der Anamnese bis hin zu höheren Refraktionswerten), desto höher die Wahrscheinlichkeit von prismatischen Nebenwirkungen. Aber es gibt technische Möglichkeiten, die sich perfektionieren lassen: Gescannte Daten, die bei einer 3D-Anprobe Brille das Gesicht und die Brillenfassung zueinander bringen, kann man zum Beispiel verwenden, um korrekte Zentrierdaten für eine Brille zu gewinnen.

Warum arbeitet Fielmann an der Online-Brille?

Der dringende Wunsch, Brillen online kaufen zu können bestehe von seiten der Verbraucher – und deshalb hinterfragt Fielmann Althergebrachtes. Geboren wird dieses Bestreben aus der Gründungs-Philosophie von Fielmann „Der Kunde bist du.“ „Fielmann wird nicht warten, bis irgendein Technologieunternehmen unseren Markt verändert“, so Marc Fielmann. „Wir gestalten diesen Wandel selbst.“ Die Herausforderung besteht darin, augenoptische Messtechnologie so zu transformieren, dass der Nutzer sie selbst zu Hause anwenden kann, und sie die gleichen hochwertigen Ergebnisse bringt, wie im Fachgeschäft. Die Fielmann Ventures arbeiten genau daran. 15 Mio. Euro wurden bereits in die Entwicklung eigener Messtechnik investiert und insgesamt 24 Patente auf den Weg gebracht.

„Wir sind fest davon überzeugt, dass präzise und nutzerfreundliche Messtechnologie unsere Branche weltweit verändern wird“, so Marc Fielmann. Gemeinsam mit dem französischen Unternehmen Fitting Box besitze man bereits eine Technologie, mit der Millionen Gesichter mehr als 120.000 Brillen und Sonnenbrillen 3D gescannt wurden. Die Lösungen von FittingBox werden derzeit vor allem als Beratungshilfe in stationären Geschäften oder beim Online-Kauf von Sonnenbrillen genutzt. Fielmann sei heute im Bereich der augenoptischen Messtechnologie auf Smartphones führend – weil man von Anfang an auf internationale Partner gesetzt habe. Marc Fielmann meinte in Richtung potentieller deutscher Partner: „Wir sind offen für Kooperation. Wir sind offen für gemeinsame Forschungsprojekte. Unsere Messtechnologien werden der ganzen Branche zur Verfügung stehen.“

Die Handy-Refraktion nutzt den „Rote-Augen-Effekt“ von Fotos mit Blitzlicht.

Wie funktioniert Refraktion mit dem Handy?

Die nächste Rednerin war Dr. Franziska Schroeter, Head of Technology bei Fielmann Ventures. Sie entwickelt das Online-Messverfahren und erklärte detailliert, wie ein automatisiertes Refraktionssystem mit dem Smartphone funktioniert.

Die subjektive Refraktionsbestimmung per App – wo liegt da die Herausforderung? Das Problem beginnt bereits bei der Definition der subjektiven Refraktionsbestimmung: Es werde mehr gemessen als nur der Visus. Der Visus sei genaugenommen nur eine Hilfsgröße auf dem Weg zur Bestimmung einer Brechkraftkorrektur, so Schroeter. Der kritischste Punkt sei, dass die Korrektion zur Wahrnehmung eines scharfen Bildes führen soll. Da fließen Hirnleistung und subjektive Ansprüche ein, die objektiv nicht erfasst werden können.

Fielmann nutzt in seiner App das Prinzip der Photorefraktion. Diese bekannte Methode zur objektiven Refraktionsbestimmung wertet den Fundusrotfelex in der Pupille des Kunden aus – man kenn ihn auch als „Rote-Augen-Effekt“ auf Fotos mit Blitz. Bei einem emmetropen Auge erscheint die Pupille gleichmäßig dunkel ausgeleuchtet. Ein ametropes Auge weist einen halbmondförmigen Lichtreflex auf. Aus der Größe und Lage dieses „Möndchens“ lässt sich die Refraktion mit Hilfe mathematischer Formeln berechnen. Damit die App dies hinreichend genau leisten kann, nutzt sie neben reinen Formeln einen Deep-Learning-Algorithmus aus Fotos und Refraktionsdaten. Für den Lernprozess der Maschine braucht es dann möglichst viele, gute Daten, so die Entwicklerin.

Kunden sind neugierig auf die App

Erste Tests zeigen, dass die App vergleichbare Refraktionsergebnisse liefert, wie die Messung durch einen Augenoptiker. Um zu erfahren, ob Kunden diese App nutzen würden, hat Fielmann nicht nur zahlreiche Testreihen durchgeführt, sondern auch Nutzer befragt. Letzteres zeigte, dass es durchaus Skepsis gibt, bei den meisten Kunden allerdings Neugierde überwiegt.  Um Fehlerpotential auszuschalten, will Fielmann die App vorerst nur myopen Kunden zur Verfügung zu stellen. Stellt die App dann Auffälligkeiten fest, übermittelt sie die Daten an die stationäre Filiale –  die Messung ist somit von Beginn an eine Omnichannel-Erfahrung. Ob der Online-Brillenkauf sich erfolgreich entwickeln wird? Darüber werde die Messgenauigkeit zukünftiger Online-Verfahren entscheiden, meinte Schroeter.

Augenscreening mit KI: Die Potentiale

Über das große Potential, des Augenscreenings mit KI-Auswertung sprach Priv.-Doz. Dr. med. Sebastian M. Waldstein, Vorstand der Abteilung für Augenheilkunde am Landesklinikum Mistelbach-Gänserndorf in Österreich. Er glaubt nicht, dass Augenoptiker und Augenärzte durch KI-Technologien arbeitslos werden: In der Netzhaut seien Informationen zu Geschlecht und Alter einer Person ablesbar, darüber hinaus Hinweise auf Augen- und Allgemeinerkrankungen, wie zum Beispiel Risiken auf Herz-Kreislauf-, Nieren- und Lebererkrankungen. Wer Bilddaten erhebe, müsse diese aber auch auswerten. Und dies sei ob der Fülle an Informationen, die sich ableiten lassen, nicht immer einfach. An dieser Stelle können Deep-Learning-Systeme unterstützen.

Visus-Check und „OCT to go“ werden in der Makula-Therapie Einzug halten.

Demnächst OCT im Supermarkt?

Waldstein sieht zahlreiche Einsatzmöglichkeiten für KI: Im niederschwelligen Bereich könnten Augenscreenings beim Augenoptiker, in Apotheken oder sogar im Supermarkt angeboten werden.

Diese Vision griff Prof. Dr. med. Norbert Schrage, Chefarzt der Augenklinik Köln-Merheim, dann im seinem Vortrag auf. Obwohl KI Augenuntersuchungen unabhängig vom Standort ermöglichen kann, warnte er davor, dass außenstehende Player in die Schnittstelle zwischen Augenärzten und Optikern „hineinpfuschen“. Genau dies zu verhindern sei „die Aufgabe der Zukunft“. Schrage meinte: „Die Initiierung von physikalisch-optischer Diagnostik muss dort passieren, wo der Patient ankommt. Und das ist nicht die Apotheke, das ist nicht der Supermarkt oder ein öffentliche Toilettengebäude, sondern der Augenarzt oder der Optiker. Und: Gerne auch im Internet. Wir brauchen Vernetzung und brauchen Geräte-Diagnostik-Pools, denn es macht keinen Sinn, dass ein Gerät, welches beim Augenarzt nur fünf Mal am Tag läuft, nicht auch die Diagnostik von 50 anderen Patienten übernimmt.“

Augenärzte werden online arbeiten

Der Visus-Check und das „OCT to go“ werde für die Makula-Therapie das entscheidende Thema in einer immer älter werdenden Gesellschaft sein, so Schrage. „Wir werden Makula-Patienten nur dann gut behandeln, wenn wir sie monitoren und sie dafür nicht jedes Mal in die Praxis kommen müssen.“ Er glaubt, dass KI unterstützte Systeme eine gute Schnittstelle herstellen können, die dafür sorgt, dass nur behandlungsbedürftige Patienten zum Augenarzt kommen und Screenings beim Optometristen stattfinden. Therapiekontrollen, Visus-Überprüfung und OCT werden „durchaus langfristig nicht mehr beim Augenarzt“ stattfinden. Onlinesprechstunden von Augenärzten werden auf Fachportalen üblich werden – gegen Bezahlung von Beratungszeit und Recherchezeit. Und Schrage geht noch weiter: „Ich könnte mir vorstellen, dass online augenärztlich assistierte Interventionen vorgenommen werden wie zum Beispiel Fremdkörperentfernung, Salben und Tropftherapie. Die mechanische Fertigkeit, einen Fremdkörper aus dem Auge zu holen, ist nicht das Problem. Doch die Beurteilung, ob der Fall dafür geeignet ist oder in den OP muss – das ist die Aufgabe eines Augenarztes.“

Text von Rosemarie Frühauf.