Dipti Prusty ist Mitarbeiterin bei Care Netram, dem indischen Partner des EinDollarBrille e.V. Foto: EinDollarBrille

Laut einer Studie der Siemens Stiftung könnten Sozialunternehmen in Afrika bis 2030 bis zu einer Million neue Arbeitsplätze in 12 Ländern schaffen. Die 220 Arbeitsplätze des EinDollarBrille e.V. blieben in seinen Projektländern trotz Corona erhalten.

Arbeitsmärkte in Entwicklungsländern sind häufig durch informelle und unsichere Beschäftigung charakterisiert; angesichts der demografischen Entwicklung wird der Druck auf sie in den nächsten Jahren enorm steigen. Prominente Organisationen schreiben bei der Beschaffung von Arbeitsplätzen inzwischen auch den Sozialunternehmen viel Potenzial zu: So schätzt die Siemens Stiftung laut einer aktuellen Analyse in 12 Ländern, dass lokale Sozialunternehmen bis 2030 zur Schaffung einer Million neuer Arbeitsplätze beitragen könnten.
Zu diesen zählt auch der EinDollarBrille e.V., der das Ziel verfolgt, eine augenoptische Grundversorgung für Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern aufzubauen. Dafür bildet die Organisation Frauen und Männer in ihren Projektländern in Herstellung und Verkauf der EinDollarBrillen aus. Ein eigenes einjähriges Ausbildungsprogramm für augenoptische Fachkräfte soll zudem dazu beitragen, den enormen Fachkräftemangel in Entwicklungs- und Schwellenländern abzumildern: Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO fehlten bereits 2012 65.000 augenoptische Fachkräfte speziell für die Versorgung der Bedürftigsten.  

Benachteiligte einbinden – soziale Veränderungen anstoßen

Organisationen wie der EinDollarBrille e.V. erzielen durch ihr nachhaltiges Engagement oft noch weitere Effekte, die über die reine Schaffung von Arbeitsplätzen hinausgehen:

·        Bei der Ausbildung lokaler Fachkräfte bindet der EinDollarBrille e.V. aktiv auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen ein, deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt in Entwicklungsländern meist sehr gering sind. Eine Arbeitsstelle, von der sie (und oftmals auch noch Angehörige) leben können, sichert nicht nur ihre Zukunft, sondern stärkt auch ihr Sozialprestige (siehe Beispiel 1).

·        Mit seinem Geschäftsmodell und seinem Produkt zielt der EinDollarBrille e.V. auf gutes Sehen ab. Das schützt die Nutzer der Brillen vor Jobverlust – oder ermöglicht es ihnen, ihre Arbeit besser auszuführen (siehe Beispiel 2). 

·        In vielen Fällen ist ein Arbeitsplatz auch einfach mehr als „nur“ ein Job: er erhöht das Sozialprestige innerhalb der Familie und schafft neue Freiheiten bei der Lebensgestaltung. Häufig kann gerade die Schaffung von Arbeitsplätzen speziell für Frauen auch soziale Veränderungen anstoßen (siehe Beispiel 3). 

„Bremsklotz“ Corona – Arbeitsplätze wurden gehalten
Der EinDollarBrille e.V. hat in seinen Projektländern bis heute über 220 Arbeitsplätze geschaffen. Diese wurden auch weitestgehend in der Corona-Krise gehalten, obwohl teilweise mehrmonatige Lock-downs in einigen Projektländern die Arbeit der Organisation fast zum Stillstand brachten. In einigen Ländern ist die Arbeit inzwischen wieder angelaufen: In Burkina Faso beispielsweise sind die Shops seit dem 1. Juli wieder geöffnet; in Bolivien finden seit wenigen Wochen wieder erste kleinere Kampagnen statt, bei denen Menschen einen Sehtest und bei Bedarf eine Brille erhalten. Anhaltend kritisch ist die Situation weiterhin in Indien. Größere Kampagnen sind hier weiterhin nicht möglich; das lokale Team unterstützt jedoch Bedürftige, die an Katarakt (Grauer Star) erkrankt sind, weiterhin dabei, in eine Klinik zu gelangen und sich dort kostenlos operieren zu lassen.  

„Die Studie der Siemens Stiftung zeigt ebenso wie unsere täglichen Erfahrungen das enorme Potenzial, das in der Arbeit von Sozialunternehmen liegt“, betont Martin Aufmuth, Gründer des EinDollarBrille e.V.. „Angesichts des schnellen Bevölkerungswachstums, der schwachen Arbeitsmärkte in Entwicklungsländern und des hohen Migrationsdrucks in Richtung Europa sollte sich die internationale Gemeinschaft der wirkungsvollen Arbeit von Sozialunternehmen stärker bewusst werden – und sie vor allem auch angesichts der aktuell schwierigen Situation stärker fördern.“  

Die Siemens Stiftung unterstützt die Arbeit des EinDollarBrille e.V. seit 2014 in verschiedenen Ländern und aktuell in Bolivien.  

Beispiele zu Abschnitt 2:

Beispiel 1: Souleyman Siguiri, heute Chief Financial Officer bei GoodVision Burkina Faso (die Marke, unter der der EinDollarBrille e.V. dort auftritt), erkrankte als Kind an Polio und konnte sich von da an nur noch mit den Händen fortbewegen. Dennoch absolvierte er in der Hauptstadt Ouagadougou die Studiengänge Architektur und Buchhaltung; fand jedoch lange keine bezahlte Arbeit. Als er sich bei der EinDollarBrille vorstellte, war er bereits fast verhungert. Dort ist er heute ein hochgeschätzter Mitarbeiter, fand neuen Lebensmut – und gründete eine Familie. Mit Constant Zoungrana hat das Projekt in Burkina Faso außerdem seinen ersten blinden Mitarbeiter in der Brillenproduktion.  

Beispiel 2: Der 50-jährige Automechaniker Patrice Kabore (Burkina Faso) hatte regelmäßig ab 16.00 Uhr Schwierigkeiten mit der Arbeit; wegen der einbrechenden Dunkelheit konnte er kleinere Teile nicht mehr erkennen. Mit der EinDollarBrille kann er seine Arbeit nun wieder problemlos bis 19.00 Uhr ausüben. 

Beispiel 3: Dipti Prusty beispielsweise ist Mitarbeiterin bei Care Netram, dem indischen Partner des EinDollarBrille e.V.. Ihr Ehemann hatte lange Zeit keine Arbeit; das machte die junge Frau zur Hauptverdienerin in der Familie. Für den Fall, dass Dipti Prusty Mutter wird, hat sie mit ihren Schwiegereltern bereits vereinbart, dass diese dann bei der Kinderbetreuung unterstützen und vielleicht sogar dorthin ziehen, wo Dipti gerade arbeitet. Das zeigt, wie sich das Leben von Menschen ebenso wie gesellschaftliche Positionen durch die Schaffung von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländern verändern lassen. 

Über EinDollarBrille e.V.
Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden rund 950 Millionen Menschen weltweit unter einer behebbaren Fehlsichtigkeit, verfügen jedoch nicht über die Mittel, sich eine herkömmliche Brille zu kaufen. Der geschätzte Produktivitätsverlust, der daraus resultiert, liegt allein bei unbehandelter Kurz- und Weitsichtigkeit bei geschätzten 269 Mrd. US$ jährlich. 
Der EinDollarBrille e.V. hat vor diesem Hintergrund eine weltweite Versorgung mit qualitativ hochwertigen und dabei günstigen, robusten und individuell angepassten Brillen zum Ziel. Der Verein wurde 2012 von Martin Aufmuth, dem Erfinder der EinDollarBrille, gegründet und ist vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt. Die EinDollarBrille kann von Menschen vor Ort hergestellt und verkauft werden. Die Materialkosten für eine Brille liegen bei rund einem US-Dollar; der Verkaufspreis bei zwei bis drei ortsüblichen Tageslöhnen. Die Ausbildung der Brillenproduzenten und der Aufbau des Projektes in den Zielländern werden durch Spenden finanziert. Das Projekt ist nachhaltig: Der Verkaufserlös der Brillen hilft, die Gehälter im Land und das Material für neue Brillen zu bezahlen. Das Ziel ist der Aufbau einer augenoptischen Grundversorgung für Menschen in Ländern des Globalen Südens.