R+H Wissenschaftspreisträgerin Asu Rayamajhi. Foto: Privat.

Der Rupp+Hubrach Wissenschaftspreis ging 2020 an die Nepalesin Asu Rayamajhi. Weil mangelnde augenoptische Versorgung in ihrem Heimatland ein Grundproblem ist, war für sie schon früh klar, dass sie Augenoptikerin werden wollte. Ihre Großmutter hatte die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens wegen eines Glaukoms als Blinde verbracht – ein Schicksal, dass in Nepal viele Menschen mit Augenerkrankungen teilen. Die Früherkennung von degenerativen Netzhauterkrankungen stand deshalb auch im Zentrum ihrer Studien, die sie an der Uniklinik Heidelberg betrieb. OPTIC+VISION wollte mehr über die neue Methode und die Geschichte dahinter erfahren.

Frau Rayamajhi, bitte beschreiben Sie kurz ihren Lebensweg von Nepal nach Deutschland.

Asu Rayamajhi: Ich komme aus einem kleinen Dorf in Nepal, wo die augenoptische Versorgung immer noch mangelhaft ist. Ich wusste deshalb schon sehr früh, dass ich mich der medizinischen Augenoptik widmen wollte. Denn bei uns erblinden über 65% Prozent aller Patienten, die am grauen Star erkranken, außerdem viele wegen bakterieller Infektionen und als dritte Ursache an degenerativen Netzhauterkrankungen wie dem Grünen Star, Diabetischer Retinopathie und Altersbedingter Makuladegeneration. Wenn man diese nicht früherkennt, gibt es keine Möglichkeit für weitere Behandlungen. 

Nach meinem Abitur in Nepal kam ich nach Deutschland. Wegen ihres hochwertigen Augenoptik-Studiengangs mit anspruchsvoller Theorie und klinischer Praxis entschied ich mich für ein Studium an der Hochschule Aalen. Die große Unterstützung durch meine Professoren und Mitstudenten half mir dort sehr. Außerdem gibt es in Aalen eine Hilfsorganisation, die eine Waisenkinderschule in Nepal unterstützt und für sie Brillen sammelt. So wurde Aalen schnell meine zweite Heimat.

Wie kamen Sie zu dem Forschungsprojekt, dass Ihnen den R+H Wissenschaftspreis beschert hat? 

Für meine Masterarbeit wollte ich mein Optik-Wissen im medizinischen Bereich anwenden – und dass ich dies an der renommierten Uniklinik Heidelberg tun konnte, war ein großer Glücksfall für mich! Professor Auffarth nahm meine Bewerbung an und schlug mir das Projekt und Thema vor, dass mich spontan faszinierte. Denn es geht hier um ein weltweit neues Verfahren, dass großes Potential besitzt. Die eigentliche Masterarbeit wurde dann an der Universitäts Augenklinik von Prof. Dr. med. Gerd U. Auffarth, Dr. Dipl.-Ing. Grzegorz Łabuz und an der Hochschule Aalen von Prof. Dr. A. Holschbach betreut.

Die Früherkennung von diabetischer Retinopathie anhand veränderter Empfindlichkeit für infrarote Strahlung – wie funktioniert dieses Prinzip?

In unseren Augen gibt es drei verschiedene Farbrezeptoren. In der Mitte der Netzhaut befinden sich die Rezeptoren für Rot und Grün, im äußeren Bereich diejenigen für Blau, aber keine Rezeptoren für die Infrarote Strahlung. Wenn wir Infrarot-Strahlung von 1045 nm mit dem zwei Photonen-Verfahren auf die Netzhaut projizieren, wird dies von den Probanden als grünes Licht wahrgenommen.

Noch wichtiger als die Farbwahrnehmung ist für unser innovatives Forschungsprojekt jedoch der Wahrnehmungsschwellenwert der Zwei-Photonen-Absorption. Hier müssen die Farbrezeptoren und andere neuronale Zellen richtig zusammenarbeiten, um im Gehirn die Botschaft zu verarbeiten. Diese Schwelle liegt bei Netzhauterkrankten etwas niedriger als bei gesunden Probanden.

Anhand unserer einzelnen Studie, welche diabetische Retinopathie behandelt, können wir zwar noch nicht sagen, dass wir eine neue Früherkennungsmethode gefunden haben. Mit einer größeren Anzahl von Probanden und Forschung bezüglich weiterer Netzhauterkrankungen kann sich das aber in der Zukunft konkretisieren. Entscheidend ist, dass der Schwellenwert früher und leichter eine Veränderung der Netzhaut erkennen lässt, als die bisherigen Verfahren.

Das heißt, die Erkrankung wird erkennbar, bevor der Betroffene selbst eine Veränderung seines Sehens bemerkt?

Ja. Wir machen weitere Studien zu anderen Netzhauterkrankungen wie Grünem Star, AMD, Retinitis Pigmentosa usw. Und so werden wir schließlich aussagekräftige Ergebnisse bekommen.

Was genau geschieht bei der Zwei-Photonen-Absorption?

Die Zwei-Photonen-Absorption ist ein nichtlinearer Absorptionsprozess, in dem die zwei Photonen von einem Atom oder Moleküle simultan absorbiert werden. Als Folge davon wird das Atom zu einem höheren energetischen Zustand angeregt, wobei der Energieanstieg gleich der Summe der Photonenenergie ist. Die Zwei-Photonen-Absorption tritt nur bei hohen optischen Intensitäten in signifikanten Raten auf. Im Rahmen der Dissertation von Frau Maria Göpert-Mayer wurde im Jahr 1931 das Verfahren zum ersten Mal postuliert. In der Literatur gibt es Hinweise darauf, dass die menschliche Netzhaut unter spezielle Bedingung wie z.B. höherem Pulslaser und bestimmter Pulsdauer (Exposurezeitintervall) langwelliges Licht wahrnehmen kann. Über die Ursachen der Farbwahrnehmung des infraroten Lichts an der menschliches Netzhaut gab es eine Debatte zwischen zwei Vermutungen: entweder würde sie wegen der Zwei-Photonen-Absorption von Photopigment-Molekülen an der Netzhaut oder wegen der Frequenzverdopplung stattfinden. Eine Studie aus dem Jahr 2014 von Dr. Palczewski et al. hat gezeigt, dass menschliches Infrarotsehen durch Zwei-Photonen-Absorption der Photopigment-Moleküle stattfindet. Anhand dieses Ergebnisses und seines langjährigen Austausch mit Prof. Auffarth ist heute dieses innovativen Verfahren entstanden.

Wie lief das Experiment zur Schwellenwert-Messung ab?

Pro Person wurde ein Studienauge gemessen, was insgesamt über anderthalb Stunden gedauert hat. Zuerst begann es mit einem Sehtest und der Netzhautschichtaufnahme. Mögliche systemische Krankheiten und andere Augenkrankheiten, die auf die Augen wirken könnten, wurden ausgeschlossen, darunter auch Indikationen wie Infektionen, Grauer Star oder andere Netzhauterkrankungen.

Dann prüften wir das Kontrastsehen der Person und ließen sie schließlich zur Vorbereitung 30 Minuten lang in einem dunklen Raum sitzen, damit sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnten, und die Stäbchen-Photorezeptoren aktiviert wurden. Danach musste nochmals ein Augenarzt prüfen, welchen Grad die diabetische Retinopathie hatte.

Wie sind Sie von der Augenoptik zu einem Master in Psychophysik gelangt?

Mich hat schon immer die physikalische Optik interessiert und wie die Messgeräte funktionieren, z.B. die Gesichtsfeldmessung, Optische Kohärenz Tomographie und andere Messverfahren. In Zukunft hoffe ich, zur Entwicklung von neuen Messmethoden und Diagnose-Tools beitragen zu können.

Asu Rayamajhi untersucht Augen in einem Schul- und Kinderheim in Katmandu (Bright Horizon Children’s Home Nepal). Foto: Gabi Wutschke

Werden Sie ihr Wissen eines Tages nach Nepal zurückbringen?

Auf jeden Fall. In Deutschland habe ich so viel gelernt – und in Nepal muss so viel passieren! Nicht nur auf dem Gebiet der Ophthalmologie, sondern auch in der Augenoptik. Dafür brauche ich vielseitige Unterstützung und baue gerade ein Netzwerk aus Optik- und Ophthalmologie-Experten und großen Herstellern auf, die wir als Sponsor brauchen, wenn wir wieder ein Refraktions-Camp oder ähnliche Hilfsaktionen organisieren.

In Nepal sind Brillen absolute Luxusprodukte. Auf rund 28 Millionen Einwohner kommen dort weniger als tausend ausgebildete Augenoptiker und noch viel weniger Augenärzte. Als ich dort vor zehn Jahren mein Abitur machte, gab es landesweit kaum Ausbildungs- oder Studienplätze für Augenoptiker. Durch verschiedene Initiativen und Medizinkollegs, die mittlerweile gegründet wurden, ist das zum Glück etwas besser geworden.

Gabe es Momente auf Ihrem Weg, wo Sie kämpfen mussten?

Am Anfang meines Studiums verstand ich die Witze in den Vorlesungen nicht … Ich lernte selbst viel nebenbei, um Schritt zu halten. Meinen Professoren an der Hochschule Aalen waren jedoch sehr unterstützend, ich werde ihnen mein Leben lang dankbar sein. Prof. A. Holschbach hat mich während des Studium und der Masterarbeit viel unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin. Recht herzlich dankbar bin auch Herrn Prof. G. Auffarth, der mir die Chance gegeben hat in seinem Projekt mitzuarbeiten. Ganz besonders danke ich auch Herrn Dr. Dipl. Ing. G. Łabuz, der mich bei jedem Schritt der Masterarbeit sehr unterstützt und mich immer wieder motiviert hat. Und auch meinen Kommilitonen, die immer wieder geholfen haben, in Hausarbeiten meine Rechtschreibung zu korrigieren.

Wie schätzen Sie künftige Anwendungsmöglichkeiten des Verfahrens ein? Wie lange wird es noch dauern, bis es marktreif ist?

Prof. Gerd U. Auffarth: Die Idee dahinter ist, ein Gerät, bzw. eine Untersuchungstechnik zu entwickeln, die es bisher nicht gab – und die eine Fähigkeit unserer Sehzellen prüft, von der wir bisher nicht dachten, dass wir sie überhaupt besitzen. Dies könnte uns in Zukunft erlauben, die allerfrühsten Anfangstadien von wichtigen Erkrankungen wie Diabetes, Makuladegeneration oder sogar genetisch bedingten degenerativen Netzhauterkrankungen zu entdecken.

Die Herausforderung dabei ist die viele Fleißarbeit, die geleistet werden muss, um Normwerte zu erzielen, anhand derer man später praktisch arbeiten kann. Was ist eine Bildstörung? Was ist normal? Wie sieht es mit der Altersabhängigkeit der ermittelten Werte aus? Die Arbeit von Asu Rayamajhi ist ein guter Anfang dafür. Weitere Studien müssen jetzt immer mehr ins Detail gehen, Untergruppen untersuchen und Fakten validieren, Ergebnisse mit anderen Geräten vergleichen. Unsere Forschung ist schon eine große Sache und ihre Studie ein weiterer Puzzlestein, um ein weiteres medizinisches Gerät für Vorsorgeuntersuchungen zu entwickeln.

Wie lange wird es circa noch zur Marktreife dauern?

In den kommenden drei bis vier Jahren könnte sich das Prinzip bereits bis zur Alltagstauglichkeit konkretisieren, so dass man es relativ einfach am Patienten anwenden kann. Damit daraus ein kleiner handlicher Kasten wie ein Autorefraktometer wird, wird es noch etwas dauern, denn es fehlen noch einige Normwerte. Die ersten Forschungen zu diesem Thema sind übrigens schon an die zwanzig Jahre alt – was zeigt, wie lange solche Erfindungen brauchen.

Das Interview führte Rosemarie Frühauf

Der Rupp+Hubrach Wissenschaftspreis

Wie nah sich der Wissenschaftspreis von R+H an der Praxis orientiert, beweisen die langfristigen Erfolge der Preisträger: Sämtliche Sieger der letzten 30 Jahre sind heute anerkannte Größen in der Welt der Augenoptik. Erstmals vergeben wurde die Auszeichnung im Jahr 1990, seinerzeit noch in ausschließlicher Zusammenarbeit mit der Hochschule Aalen. Die Intension von Günther Hubrachdem „Vater“ des R+H Wissenschaftspreises, war es, herausragende Arbeiten vielversprechender Nachwuchstalente in der Augenoptik zu würdigen und diesen eine verdiente Plattform in der Branche zu geben. Sicher schwang dabei auch mit, das ein oder andere Nachwuchs-Ass für Rupp und Hubrach zu gewinnen. Die Bedeutung des Preises zog bald weitere Kreise: Bis zum Millennium waren bereits die Hochschulen in Jena, Berlin, Lübeck und Wolfsburg hinzugekommen. Heute sind fast alle augenoptischen Hochschulen in Deutschland in der Jury des R+H Wissenschaftspreises vertreten. Und auch im deutschsprachigen Ausland hat die Auszeichnung einen exzellenten Ruf. So wurde bereits eine Abschlussarbeit aus Österreich zur Bewertung eingereicht.