Thomas Roehm führt das Münchner Fachgeschäft arabella optic mit Leidenschaft und Outside-the-box-Thinking. Foto: Fotos: Dennis Eckert

Er ist hochsensibel, authentisch und kreativ: Inmitten des Münchner Business-Bezirks Arabella-Park hat
sich Thomas Roehm seit 2004 mit seinem Geschäft „arabella optic“ etabliert. Umgeben von Kliniken und
Facharztpraxen findet der Out-of-the-box-Optiker Lösungen für schwierige Fälle. Dass er Spezialist für
Winkelfehlsichtigkeit ist, ist nur ein Baustein seines Erfolgs. Für OPTIC+VISION gibt Thomas Roehm Einblick in seine einfühlsame und außergewöhnliche Art, mit Menschen zu kommunizieren.

OPTIC+VISION: WAS VERSTEHEN SIE UNTER AUTHENTIZITÄT?
Thomas Roehm: Vielleicht ist Authentizität der wichtige
Faktor für mehr Erfolg. Ich verstehe darunter: Die
Verwandlung von Schein in Sein, bzw. übernommene
Floskeln und Verhaltenstendenzen in eigene Formen
zu verändern. Allein Google findet dazu inzwischen
rund 10,4 Millionen Einträge zum Suchbegriff „authentisch“,
vor drei Jahren waren es erst 1,1 Millionen
Treffer. So groß ist die Sehnsucht nach dem Echten
heute! Da stellt sich die Frage: Wie lässt sich echte Authentizität umsetzen?
Hilft es die Mitarbeiter in möglichst viele Schulungen und
Motivationstrainings zu schicken? So wertvoll diese auch für die
Erweiterung unserer Sichtfelder sind, so ernüchtern sind oft die
erreichten Ergebnisse. Nur ein winziger Bruchteil der vorgestellten
Inhalte werden in der Regel in reale langfristige Gewohnheiten
umgesetzt.

Einer meiner Lebenssätze lautet: Der Glaube ist eine immense
Antriebskraft. Durch den Glauben ist Dir alles möglich! Dabei
gibt es allerdings drei notwendige Voraussetzungen:
Erste Voraussetzung: Du musst Dich für Deine Ziele und obersten
Prioritäten entscheiden. Was willst Du mit Deinem Leben erreichen?
Die meisten Menschen haben darauf keine Antwort.

Zweite Voraussetzung: Du verfügst über das notwendige Wissen.
Das ist ganz klar eine Frage des Fleißes und der Intensität!

Dritte Voraussetzung: Du kannst deine eigenen Talente und Begabungen
in deinem Job frei entfalten und erweitern. Nur dann
macht die Arbeit Freude.
Da sind wir wieder beim Thema: Authentizität lässt sich am leichtesten
fördern, wenn die individuellen Begabungen früh erkannt
und formuliert werden können. Wundersamer Weise können
bei Nachfrage nur wenige Menschen Ihre eigenen Begabungen
benennen. Vielleicht ist es auch deswegen so schwierig, weil wir
das, was uns leichtfällt, für völlig normal halten und meinen, andere
können das genauso gut.

Fragen Sie doch einmal ihre Freunde, Mitarbeiter und Kollegen,
welche besonderen Begabungen Sie haben. Entwickeln Sie Gedanken,
wie sie diese Begabungen fördern und verstärken können. Hierin liegt meiner Ansicht nach der schnellste Weg, um individuelle und echte Authentizität zu fördern.

Das Geschäft von Thomas Roehm im Arabella Park. Foto: Christian Hönig


WELCHE BESONDEREN BEGABUNGEN HABEN SIE SELBST?
Ich glaube Kreativität ist meine mächtigste Gabe. Es ist die visuelle, manchmal auch schöpferische Vorstellungskraft, aus Vorhandenem etwas Neues, Höheres zu gestalten.

Dabei komme ich schnell in einen Flow. Bei Momenten im Flow bleibt die Zeit stehen und wir sind ganz in unserem Element. Ich habe schon etwas von den Hoch-Sensitiven. Sie wissen ja, das
sind die, die alles hören, riechen und sehen. Der Nachteil dabei ist vielleicht eine höhere emotionale Verletzlichkeit, doch mit der Lebensreife wird das deutlich besser. Der große Vorteil liegt in einer erhöhten Wahrnehmungsfähigkeit. Gepaart mit viel Intuition und Inspiration, ist das auch eine besondere Begabung.
Zum dritten, so glaube ich, habe ich auch ein gutes Maß an Durchhaltevermögen. Doch dies müssen
Selbstständige in der heutigen Zeit alle haben, oder? Herausforderungen begegnen, Lösungen finden und dann konsequent umsetzen.


WIE KÖNNEN SIE DIESE BEGABUNGEN IN DER AUGENOPTIK
UMSETZEN?
Sie helfen mir, besser mit Menschen umzugehen.
Das fängt schon bei der Begrüßung eines Kunden im Ladengeschäft
an. Ich empfehle meinen Mitarbeitern, unseren Kunden
in den ersten drei Minuten immer ein ehrliches Kompliment
zu machen! Dazu müssen wir zuerst einmal unser Gegenüber bewusst und aufmerksam wahrnehmen. Seien es strahlende Augen, weiße Zähne, schicke Schuhe… Bei jedem Menschen gibt es etwas Besonderes zu entdecken. Wir sind nur nicht trainiert, darauf zu achten und es auszusprechen.
Wird das ehrliche Kompliment ausgesprochen, fühlt
sich der Kunde sogleich wahrgenommen und wertgeschätzt. Jeder
von uns ist gern im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Und diesen Effekt nutzen wir auf sensible Weise.
Mein zweiter Rat: Beobachte aufmerksam den Blick
des Kunden. Bereits beim Hereinkommen ist oft zu
erkennen, was das Objekt seines oder ihres Interesses
ist. Ist es eine neue Brille, Kontaktlinsenpflegemittel,
eine Reparatur oder etwas anderes?
Wendet sich der Kunde direkt zur Brillenwand, können Sie die
Beratung eröffnen mit: „Vielleicht habe ich die richtige Inspiration
für Sie?“ und sogleich eine sehr gut passende erste Brille zum
Anprobieren überreichen. Das macht garantiert Eindruck – auch
bei den „Ich will nur mal schauen – Kunden“.

WELCHE WAHRNEHMUNGS-INSTRUMENTE NÜTZEN SIE?
Viele Inspirationen habe ich von den Physiognomik Spezialisten
bekommen. Diese können u. a. die Sprache von Gesichtern erstaunlich
sicher lesen können.
Ähnlich wie Sie es vielleicht von der Farb- und Stilberatung her
kennen, wird dabei zwischen unterschiedlichen Stil-Typen differenziert.
Den Ausprägungen der Gesichtselemente werden
spezifische Eigenschaften zugesprochen. Wussten Sie etwa, dass alle deutschen Bundeskanzler große, tiefsitzende Ohren hatten? Dazu kommt immer ein besonders ausgeprägtes, großes Kinn.
Das repräsentiert u.a. Realismus und Durchsetzungskraft.
Die Interpretation der individuellen Gesichtsmerkmale hat
eine hohe Treffer-Wahrscheinlichkeit. Das gelernte sprachliche
Repertoire macht es mir leichter, unsere Kunden „abzuholen“.
Des Weiteren finde ich es auch für mich wichtig, an den eigenen
Sprachfloskeln zu arbeiten. Wie antworten Sie etwa auf die oft
gestellte Frage: „Wie geht es Ihnen?“. In der der Regel oft mit irgendeiner
Floskel. Nach längerem Nachdenken habe ich für mich
eine schönere Antwort gefunden: „Wenn ich Sie sehe, geht es mir
immer besser!“ Jeder lacht. Und das auch nach der zehnten Wiederholung.
Sofort befindet man sich auf einem höheren Begegnungsniveau.

HABEN SIE ERFOLGSTIPPS FÜR KOLLEGEN? Storytelling
ist vielleicht aus Marketingsicht die wichtigste
Kunstform. Wir haben deshalb im Team einen großen
Schatz von Ein- bis Dreisatz-Stories gesammelt,
die in die Kundenberatung einfließen. Brillenfassungen
oder Gläsereigenschaften werden dann mit einer
Kurzgeschichte verbunden. Sollte sich der Kunde
heute nicht entscheiden können und kommt erst nach einer Woche
wieder, beschreibt er bestimmt die Brille mit der verbundenen
Kurzgeschichte. Erstaunlich, oder?
Gehen wir zur Refraktion, da gibt es noch viel Optimierungspotential.
Ein Kunde fragt nach einem Sehtest. Natürlich kostet ein Computer-
Sehtest bei uns nichts. Der Autorefraktometer liefert ein
erstes Ergebnis über die Brillenglasstärken, die ein besseres Sehen
ermöglichen.
Ein richtige optometrische Augenglasbestimmung beinhaltet jedoch
viel mehr und kostet je nach Intensität auch viel mehr. Für die
daraufhin gefertigte Brille gibt es dann eine Zufriedenheitsgarantie.

WIE GEHEN SIE BEI SO EINER REFRAKTION VOR? Die Refraktion
beginnt mit einem kleinen Anamnesebogen, gefolgt
vom Van-Orden-Stern Test. Ein tiefer Blick in die Kundenaugen
schenkt dem Prüfer, der dieses regelmäßig macht, viele Informationen:
Sind die Augen weiß oder rötlich? Welches ist das Führungsauge
und in welche Richtung weicht das Begleitauge ab?
Leuchten die Augen oder wirken sie matt und erschöpft?
Wie ist die Kopfhaltung, wenn der Kunde den Anamnesebogen
oder das Datenschutz-Formular ausfüllt? Beobachten wir eine
permanente schräge Kopfhaltung, dann besteht vermutlich eine
Höhenphorie. Früher oder später wird sich diese auf Hals und
Wirbelsäule auswirken.
Ich beobachte auch das Schriftbild. Dabei ist mir etwas aufgefallen.
Sind die Buchstaben brav einzeln geschrieben, deutet dies
auf eine gekreuzte Dominanz hin (z.B. körperlich rechts und
visuell links dominant). Sind die Buchstaben beim Schreiben
miteinander verbunden, liegt körperlich und visuell eine gleichsinnige
Dominanz vor. Die gekreuzt Dominanten sind meiner Beobachtung nach eher langsamer, gehen dafür gedanklich mehr in die Tiefe und verwerten besser andere Wahrnehmungen wie Hören und Fühlen.
Auch der Van-Orden-Stern zeigt uns schnell, wie gut die beiden Augen zusammenarbeiten. Als Resultat aller visuellen Prozesse informiert er sofort über visuellen Stress. Ein Kollege äußerte
einmal, mit diesem Test erkennt er sofort, welches Kind nicht das Gymnasium besucht.
Von zentraler Bedeutung sind für mich bei der Augenglasbestimmung
drei Fragen:
a. Welche Phorie ist vorhanden? (Abweichung des Begleitauges)
b. Welches ist das visuell dominante Auge? (differenzierter Stereotest)
c. Welche Qualität hat die Stereopsis?

Sie merken schon, ich gehöre beim Thema Heterophorie / Winkelfehlsichtigkeit
zu den direkt Betroffenen. In der FFA München
lernte ich die Sache mit der MKH kennen. Für mich gehörte
H.-J. Haase zu den besonders genialen Menschen, der die Welt
mit seiner Arbeit sehr bereichert hat. Mit 28 Jahren traf ich die
Entscheidung, mich beim mittlerweile leider verstorbenen Augenarzt
David Pestalozzi operieren zu lassen (Esophorie mit 40
cm/m). Das war eine richtig gute Entscheidung. Ich hatte damals
eine perfekte Stereopsis und auch noch heute, aber der anstrengende
Kompensationsaufwand fällt heute weg. Die gesparte
Energie kann ich heute anderweitig verwenden.
Zurück zum Thema. Zuletzt informiert uns bei der Refraktion eine
simple Fingerperimetrie über eine beginnende Gesichtsfeldeinschränkung.
So einfach und doch im gegebenen Fall, so weitreichend.
Ermöglicht es die zur Verfügung stehende Zeit, dann kommt auch der Easy Scan zum Einsatz. Beim Netzhautscreening Auffälligkeiten früh zu erkennen, ist ein wichtiger Schritt für mehr Sicherheit.

WELCHE MENSCHEN KOMMEN AUFGRUND IHRES
SPEZIALISTEN-STATUS ZU IHNEN?
Danke für das
Kompliment. Die Bezeichnung als Spezialist ist natürlich eine erwartungsvolle
Zuordnung. Aber in der Tat haben wir viele Kunden,
die sich zur Augenglasbestimmung speziell unter dem Zauberwort
Winkelfehlsichtigkeit anmelden. Prismen korrigierte Kunden sind
ihrem Optiker auch besonders treu, das liegt in der Natur der Sache.
Vor drei Monaten kam eine junge Frau zu uns. Sie schilderte, wie
gerne sie in ihrem Beruf tätig ist, aber die Bildschirmtätigkeit mache
sie wahnsinnig. Sie wurde sieben Tage lang in zwei Kliniken
untersucht. Zum Schluss bekam sie den ärztlichen Rat, einen
Psychologen aufzusuchen. Dank ihrer neuen Brille mit Prismenkorrektion
war alles wieder im Lot.
Oder vor etwa acht Wochen kam ein Arzt zu uns der beklagte,
dass er ab 16:00 Uhr alles doppelt sieht. Er musste sich dann immer
ein Auge zuhalten. Jeder kann sofort nachvollziehen, wie
schwierig das für ihn war. Ich konnte auch nicht viel messen, da
der Seheindruck des Begleitauges vollständig unterdrückt wurde.
Wie bei jedem meiner Kunden holte ich mir zuerst einen eigenen
visuellen Eindruck vom Zusammenspiel seiner Augen.

Ich fand es ist einen Versuch wert und gab ihm das Angebot, eine
prismatische Brille mit Schätzwerten anzufertigen (8,00 cm/m
Höhenprismen und 1 cm/m Esophorie). Dabei müsste er nur
meine Eigenkosten übernehmen.
Nach drei Wochen kam er wieder und berichtete, dass das Doppelsehen
vollständig gewichen ist. Ich konnte in der anschließenden
binokularen Prüfung sogar das Begleitauge messen. Das
Gehirn hatte es wieder zu einer jetzt möglichen MKH Messung
freigeschaltet.
So kam unser Arzt zu seiner perfekten Brille, die ihm mehr Lebensqualität
schenkt, und ich habe mich darüber gefreut.


WO HABEN SIE DIE VORHIN ANGESPROCHENE PHYSIOGNOMIK
GELERNT?
Bei den Heilpraktikern. Früher war ich
gegenüber der Irisdiagnose sehr skeptisch. Dann besuchte
ich hier in München ein Grundseminar beim Arbeitskreis für
Augendiagnose nach Josef Angerer. Heute zolle ich den Experten,
die diese Ausbildungen anleiten, meinen Respekt angesichts der
Professionalität ihres Könnens. Gerne sende ich auch meine
Mitarbeiter zu den Grundlagenseminaren.
Bei den regelmäßigen Weiterbildungen komme ich immer
wieder mit Heilpraktikern unterschiedlichster Prägung ins
Gespräch. Darunter gibt es auch einige Physiognomiker. Die
haben zum Teil recht unterschiedliche Ansätze um aus dem
physiologischen Äußeren des Körpers, im Besonderen des Gesichts, auf Wesenszüge und Eigenschaften des Menschen zu schließen.

Vor einigen Wochen übernahm ein sogenannter Antlitz-Spezialist
die Montagabendliche Weiterbildung. Er zeigte uns das
Frontalbild eines Menschen und die zugehörige Iris. Jeder der
16 Teilnehmer sollte seine Wahrnehmung und Interpretation
einbringen. Nach 20 Minuten hatten wir den Eindruck, sehr, sehr
viel über die jeweilige Person zu wissen.


WAS BRINGT IHNEN DAS IN DER AUGENOPTIK? Klaus Kobjoll,
der Chef vom Tagungshotel Schindlerhof in Nürnberg, weist
in seinem Seminar „Wahre Herzlichkeit“ auf drei Herausforderungen
hin, die jeden selbstständigen Chef erwarten:
a. „Qualität“, das Wort kommt von Qual.
b. „Kunden überraschen“, emotionales Einkauferlebnis, ein zeitloses Thema
c. „Mitarbeiter motivieren“, die Herausforderung überhaupt, oder?
Meine Antwort beim Thema „Kunden überraschen“ ist: Aufmerksamkeit,
gepaart mit meinem Repertoire aus Physiognomik
und einem Hauch von Irisdiagnose. Dabei ist mir wichtig,
verstärkt die positiven Eigenschaften des Gegenübers auszusprechen.
Positives Reden ist eine hohe Kunst im Verkauf und im Leben.
Das Geschenk meiner Kunden an mich ist dann: Viel Vertrauen
und das Empfinden einer wertvollen Begegnung und natürlich
Kundentreue. Vielleicht wird auch deshalb unsere Arbeit öfters
mit positiven Google-Bewertungen belohnt.
VIELEN DANK FÜR DAS SPANNENDE GESPRÄCH!

Das Interview führte Rosemarie Frühauf. Erschienen in Optic+Vision 4_2020 Creative Edition