Auf einmal wirken die aggressiven, unüberhörbaren Werbebotschaften unpassend. In der Corona-Krise sind statt „Zahlen, Daten, Fakten“ nun Einfühlungsvermögen und Haltung gefragt. Unter dem Motto „Stilvoll aus der Krise“ wollte OPTIC+VISION von Image-Beraterin und Knigge-Coach Katharina Starlay wissen, welche Chance sie jetzt für aufgeweckte Unternehmer sieht.
OPTIC+VISION: Frau Starlay, worin sehen Sie den Langzeit-Lerneffekt aus der derzeitigen Krise?
Katharina Starlay: Auf einmal wirken die aggressiven, unüberhörbaren Werbebotschaften unpassend. Astronomische Darstellung von Preisen und Werten („Das Produkt hat einen Wert von 1000 Euro, Sie zahlen nur 150 Euro …“), Gruppenzwang („Unser meistgekaufter Artikel …“), oder Druckmache („Wer jetzt nicht kauft ist dumm …“) wirken auf einmal wie aus einer anderen Welt. Auch die künstliche Verknappung („Nur noch heute …“) funktioniert nicht mehr. Die Konsumkinder der 80er Jahre, ihre Freunde und Kinder haben nun am eigenen Leib erfahren, was passiert, wenn es ein Produkt wie z.B. Toilettenpapier vorübergehend nicht mehr gibt: Nichts Gravierendes.
Welches Umdenken in der Kundenkommunikation wird durch die derzeitige Situation nötig?
Die Werbung der Vergangenheit beschreibt treffender als alles andere ein Grundproblem der Kundenkommunikation: Der Sender geht von sich und seinen eigenen Bedürfnissen aus – statt vom Empfänger her zu denken. Das „Du“ in der Kommunikation ist vielleicht eines der größten Geschenke der Corona-Krise … sofern man die eigene Wahrnehmung auf „Empfang“ gestellt hat.
Wie würden Sie diese „Wahrnehmung auf Empfang“ beschreiben?
Es bedeutet, hinzusehen und wahrzunehmen, was das Gegenüber braucht. Es ist doch klar, dass ein Händler Umsatz machen möchte und muss. Und genauso klar ist, dass der Kunde im Plural gerade andere Probleme hat – nicht selten Trouble-Shooting, Kurzarbeit, Existenzängste und sorgenvolle Gedanken an das, was danach kommen kann. Aber: Sie oder er hat auch Zeit für gute Botschaften.
Jetzt ist die Gelegenheit, den anderen zu sehen und sich als Partner:in an dessen Seite zu stellen. Übrigens ist das die Grundformel der Höflichkeit: Den anderen zu sehen.
Wo sehen Sie die Chancen für Unternehmer?
Wir können jetzt wählen, wer wir sein wollen. Denn die Frage ist doch, ob wir weiterhin Tarzan sein wollen, der mit überdimensioniertem Sendungsbewusstsein Botschaften in eine Welt hinaus schreit, die ihn aber nicht wirklich interessiert, wie es im Internet vor Corona üblich war.
Oder wollen wir Menschen und Follower mental unterhaken und uns an ihre Seite stellen?
Dann können wir uns in das Gegenüber hinein versetzen und sehen lernen, was die oder der andere braucht – und wer sie oder er überhaupt ist.
Haben Sie eine Anregung, wie man Geschäftskonzepte in der Augenoptik kundenzentrierter gestalten könnte?
Wenn das eigene Publikum zum Beispiel nicht gerade hip und markenaffin ist, sehe ich keinen Grund die Warenpräsentation in künstlich aufgebauten Markenwelten zu halten. Besser, Sie schaffen ein Ambiente, das der Zielgruppe dient – und niemand anderem. Sucht Ihre Zielgruppe nach Materialien oder Themen? Nach Farbgruppen warm oder kalt? Nach Formen rund oder eckig? Nach geeigneten Brillen für die Gesichtsformen – inklusive Analyse derselben? Das wären mal ein neuer Ansatz und Fragen, mit denen man nicht nur Kompetenz – sondern auch Einfühlungsvermögen beweisen kann.
Wer es jetzt schafft, den 2-Meter-Abstand mental zu überbrücken, gewinnt Vertrauen.
Katharina Starlay ist ihren Lesern durch die Kolumne „Starlay Express“ bei Manager Magazin Online und ihre Bücher bei Frankfurter Allgemeine BUCH bekannt. Durch einige Jahre als Führungskraft im Einzelhandel (Branchen Mode und Kosmetik) verfügt die studierte Modedesignerin über einen einzigartigen Schatz an gelebtem Praxiswissen: Sie ist Beraterin, Trainerin und „Einkleiderin“ für Firmenauftritte und entwickelt für diese Style Manuals. Seit 2014 ist sie Mitglied im Deutschen Knigge-Rat. In ihren Trainings lässt sich übrigens auch lernen, welche Brille in welches Gesicht passt – und warum.
Text von Katharina Starlay und Rosemarie Frühauf