Aktuelles Kampagnenmotiv von Haffmans&Neumeister.

Ein shabby Treppenhaus im Herzen Berlins: Auf einer alten Metalltür prangt in goldenen Lettern ihr eleganter Schriftzug und weckt Verheißungen. „Haffmans & Neumeister“ steht dort auf blauem Lack. Wer durch diese Tür geht, spürt den Hauch der Geschichte. Einerseits druckte Langenscheidt hier jahrzehntelang seine Wörterbücher. Und andererseits entstehen hier heute Brillen, die rebellisch gegen den Mainstream schwimmen. Ein Besuch bei den Rolling Stones der Eyewear-Welt.

Die Brüder Philipp und Daniel Haffmans und ihr alter Freund Jean-Pierre Neumeister haben gerade zum dritten Mal gemeinsam eine Brillenmanufaktur gegründet. Die Erfolgsgeschichten von ic! berlin und MYKITA liegen bereits hinter ihnen. In einer Branche, in der ihre Produkte seit über 20 Jahren Wellen geschlagen und Maßstäbe gesetzt haben, fanden die drei eine neue Nische für sich: Minimalistische Brillen aus Flachmetall, radikaler und reduzierter als je zuvor – doch mit Qualitäten, die sich jeder Optiker und Kunde wünscht. Zeitlos gediegen, qualitativ und mit hohem Gebrauchswert.

Wo einst Langenscheidt die Druckvorstufe seiner Wörterbücher produzierte, schneidet heute ein industrieller Laser minimalistische Brillenfronten und -Bügel aus Stahlplatten aus. „Den Laser mussten wir mit einem Kran durch das Fenster hieven und die Wand und das Fenster nachträglich wieder einbauen“, erzählt Jean-Pierre Neumeister, als er mich herumführt.

Auch er ist, genau wie Philipp Haffmans, ein Produktdesigner, der an der Berliner Hochschule der Künste studiert hat, wo sich die beiden befreundet haben. Im Jahr 1993 hatten sie ihre erste Begegnung mit dem Produkt „Brille“, durch einen Design-Wettbewerb, an dem zahlreiche Studenten teilnahmen. Jean-Pierre gewann damals einen Preis mit einem aufklappbaren Brillen-Medaillon. Philipp ging mit seinem Entwurf, der von Insektenbeinen inspiriert war, leider leer aus … Lachend präsentieren sie den Wettbewerbskatalog, der so einige skurrile Entwürfe enthielt.

„Wir sind ein bisschen wie die Stones: Die alten Rebellen und immer noch auf der Bühne.“ Von links nach rechts: Philipp Haffmans, Jean-Pierre Neumeister, Daniel Haffmans und Tjarko Bohlen. Foto: Rosemarie Frühauf

Ernsthaft wurden ihre Ambitionen wenig später: Philipp hatte die Idee, Brillen komplett aus einem flachen Stück Metall herzustellen, ganz ohne die herkömmlichen Schrauben und Scharniere. Als sie 1996 mit diesem Design auf den Branchen-Messen erschienen, war das radikal neu: „Wir waren die wilden Produktdesigner, die keine Ahnung hatten, was der Optiker will und die Brille aus unserer Sicht neu dachten“, erzählt Philipp Haffmans. „Normalerweise hält die Fassung das Glas, bei uns jedoch hielt das Glas die Fassung. Und auch unser schraubenloses Scharnier war so unerhört neuartig, dass Alain Mikli, der Brillenpapst höchstselbst, uns die Rechte daran abkaufen wollte. Wir wollten uns aber nicht von unserem Baby trennen und machten einfach weiter … Und dieser Spirit, dieser Geist von damals brennt noch immer in uns. Wir machen weiterhin Brillen – mittlerweile mit unserer dritten Firma.“

Zuerst entstand aus ihrem Schöpferdrang „ic! berlin“ – die coole Sonnenbrille für Raver. Und dann kam 2003 MYKITA – die hippe Korrektionsbrille, deren Style und Designsprache mittlerweile so viele Nachahmer gefunden hat, dass ein neuer Mainstream daraus entstanden ist. „Was kommt als nächstes?“, war deshalb die große Frage, nachdem sich Haffmans & Neumeister entschieden hatten, bei MYKITA auszusteigen und noch einmal von vorn anzufangen. Denn durch ihre eigenen Produkte der vergangenen 20 Jahre liegt die Messlatte für sie hoch. „Das bestehende Design weiter zu verbessern“, wurde deshalb zum Ausgangpunkt ihrer neuen Manufaktur, die wieder alle Kompetenzen unter einem Dach vereint.

Die Seele des neuen Designs

Foto. Haffmans&Neumeister

 „Design bedeutet, die einfachste Lösung zu finden“, sagt Philipp Haffmans. „Wir sind uns treu geblieben bei der Benutzung des flachen Bandstahls und haben unsere Scharnierlösung perfektioniert.“

„Unsere Vision war, die absolute Feinheit und Eleganz wie bei den Brillen des ausgehenden 19. Jahrhunderts herzustellen, die unglaublich fein, stabil und flexibel waren. Hierzu brauchte es aber ein miniaturisiertes Gelenk und im Brillenmuseum von Morez hatte ich dazu die Erleuchtung: Ein Scharnier mit einer kleinen Niete sollte Bügel und Front verbinden! Die Brille lässt sich sehr gut anpassen, auch die den historischen Gespinstbügel von 1910 nachempfundenen Bügel geben der Brille festen Halt hinter den Ohren. Auf dieses Design-Prinzip konzentrieren wir uns seit 2018 und nennen es die „Ultralight Collection“ – was in Wahrheit auch ultra-klassisch ist. Bei diesem Material werden wir erst mal bleiben und dann die ein oder andere Acetat-Kombination herausbringen.“

Zu dieser gut verkäuflichen Linie leistet sich Philipp Haffmans dann noch die künstlerische Capsule-Kollektion „Phasmid“, die reine Ästhetik zelebriert: Exzentrische Sonnenbrillen aus Bandstahl, die ebenfalls mit historischen Vorbildern spielen und ihre Träger maskenartig verwandeln.

 „Wir machen das, wovon wir nach all den Jahren überzeugt sind, dass es das Richtige ist“, fasst Daniel Haffmans zusammen, der für die Entwicklung und den Gesamtauftritt der Marke verantwortlich zeichnet. „Unser Mut, Ideen in die Tat umzusetzen, hat uns immer von anderen unterschieden. Dabei wurden wir mit der Zeit immer fokussierter: Bei „ic! berlin“ war die Stadt namensgebend, bei „MYKITA“ das Haus, in dem wir arbeiteten. Und bei „Haffmans & Neumeister“ sind es unsere Personen.“

„Der Mut, Ideen zu realisieren war immer unser USP.“

Daniel Haffmans

Wie sieht die Zukunft aus?

„Wir wollen nicht nur schöne Produkte anbieten, sondern Qualität auf allen Ebenen“, erklärt Daniel Haffmans. „Weil uns Service und Lieferfähigkeit sehr wichtig sind, haben wir gezielt in unsere Infrastruktur investiert. Neben unserem eigenen Laser, der Lieferschnelligkeit sicherstellt, verfügen wir über ein digitales Warenwirtschaftssystem, mit dem wir alle Prozesse im Unternehmen verknüpft kontrollieren. Wir werden in Zukunft genau wissen, wie weit eine Bestellung in der Produktion gediehen ist und präzise Lieferangaben machen können. So können wir ein wirklich guter Partner für die Optiker sein, mit dem man verlässlich arbeiten kann. Und auf dieser Basis wollen wir solide wachsen und unser Unternehmen mit innovativen Produkten aufbauen. Aktuell sind wir schon weltweit vertreten, mit Vertrieb in den USA, Skandinavien, Asien und ganz Europa. Dieses Jahr haben wir 20.000 Brillen verkauft, eine Bilanz, die weiter steigen wird. Denn unsere Produkte kommen am Markt super an und die Leute sind begeistert.“

Unabhängigkeit als Nische

„In gewisser Weise ist die Brillenmanufaktur unser aller Leidenschaft“, sagt Tjarko Bohlen, der vierte Geschäftsführer im Bunde. (Er besitzt so besondere Erfahrung wie die Leitung einer Optik-Kette in Kuweit.)

„Da sich über die Jahre große tektonische Verschiebungen in der Branche ergeben haben, wird die Nische immer enger. Viele Marken und Retailer werden verkauft. Und viele kleine Optiker haben immer größere Schwierigkeiten, ihr Sortiment mit einem charaktervollen USP aufzubauen und diesen zu erhalten. In dieser Hinsicht sind wir als „Haffmans & Neumeister“ die Mitstreiter des Optikers – denn wir möchten unsere Partner mit guten Margen und einem unabhängigen und wirklich einzigartigen Produkt unterstützen.“

„Die Verkäuflichkeit des Produkts ist uns sehr wichtig.“

Tjarko Bohlen
Foto. Haffmans&Neumeister

„Beim Aufbau der Kollektion war es uns sehr wichtig, ein verkäufliches Produkt zu schaffen. Und in den vergangenen Monaten haben wir gesehen, dass es funktioniert: Optiker, die „Haffmans & Neumeister“ ins Sortiment aufnehmen, haben unsere Brillen extrem gut rausverkauft und Geld mit uns verdient. Natürlich wollen wir gerne eine bestimmte Anzahl Brillen verkaufen, aber wir forcieren keine Minimal Order Quantity und es gibt keinen Abnahmezwang, wenn man mit uns zusammenarbeitet. Wir versuchen, mit unserem Produkt zu überzeugen.“

„Wir alle wissen, dass sich das Business durch den Einfluss von Big Money extrem verändert hat – weil Investoren realisiert haben, dass im Eyewear-Bereich noch Geld zu holen ist. Mit uns im Portfolio kann sich der Optiker positionieren gegen die Multichannels und Ketten, die in eigenen Stores trendige Designs vertreiben, die sie ungeniert kopiert haben.“ Und Daniel Haffmans fügt hinzu: „Bei uns ist klar: Wir lieben Brillen. Der Spaß an der Sache und unsere Überzeugungen stehen an erster Stelle. Und dieses Herzblut merkt man unseren Produkten an.“

Interview und Text von Rosemarie Frühauf. Exklusiv erschienen in OPTIC+VISION 1 / 2020.