Vergrößernde Sehhilfen bedeuten Lebensqualität. Eine positive Sprache des Optikers nimmt das Stigma und die Berührungsangst. Foto: Eschenbach Optik

Bei der Anpassung vergrößernder Sehhilfen sensibel und einfühlsam zu beraten, ist der Schlüssel zum Erfolg – sowohl für den Kunden und sein Seherlebnis, als auch für den Low Vision-Optiker. Wie erreicht man nachhaltigen Erfolg auf diesem oft als schwierig empfundenen Gebiet? OPTIC+VISION fragte zwei Experten von Eschenbach Optik, worauf es ankommt.

Frau Alles, Sie sind bei Eschenbach Optik Projektmanagerin für den Schulungsbereich und Veranstaltungen rund um vergrößernde Sehhilfen. Was unterscheidet die Beratung für vergrößernde Sehhilfen von einem Kundengespräch über Brille und Kontaktlinse?

Heike Alles: Nun, der große Unterschied ist, dass Brillen heutzutage gesellschaftlich vollkommen akzeptiert sind und für viele Verbraucher eher ein modisches Accessoire als ein medizinisches Hilfsmittel sind. Ist die Brille bzw. sind die Kontaktlinsen nicht mehr stark genug, geht man zum Optiker und lässt sich Gläser bzw. Linsen in neuer Sehstärke anfertigen und das meist schnell und unproblematisch.

In einem Beratungsgespräch über vergrößernde Sehhilfen ist die Sensibilität des Optikers jedoch ganz anders gefordert, denn hier spielen vor allem zwei Faktoren eine wichtige Rolle: der psychologisch richtige Umgang mit dem Kunden und die Aufklärung. So erleben Optiker häufiger, dass Kunden zunächst nicht wahrhaben wollen, dass eine stärkere Brille allein nicht mehr ausreicht, um alles lesen bzw. erkennen zu können. Außerdem wissen viele Verbraucher gar nicht, dass es vergrößernde Sehhilfen gibt – abgesehen von der klassischen Handlupe. Der Optiker muss sie also erst einmal aufklären. Darüber hinaus haben vergrößernde Sehhilfen trotz des modernen Designs von heute keinesfalls den Stylefaktor von Brillen. Und zu guter Letzt ist das Angebot sehr breit gefächert ist, denn für nahezu jede Sehaufgabe gibt es das passende Produkt. Das bedeutet natürlich größeren Erklärungsbedarf.

Warum sollte der Augenoptiker beim Beratungsgespräch besonders sensibel und feinfühlig sein?

Heike Alles: Wie schon kurz angedeutet, kommen viele Kunden zunächst mit der Erwartungshaltung zum Optiker, dass einfach eine neue, stärkere Brille ausreicht, weil dies jahrzehntelang so funktioniert hat. Viele müssen somit erst einmal die Tatsache verdauen, dass dies nicht mehr der Fall ist. Hinzu kommt die Unsicherheit bzw. die Angst, Kleingedrucktes nicht mehr lesen zu können und somit ein Stück Selbständigkeit zu verlieren. Durch eine sensible Gesprächsführung können Optiker ihren Kunden ein Stück ihrer Ängste nehmen und ihnen schließlich durch eine gute, persönliche Beratung zeigen, dass sie dank Vergrößerung und Licht ihre Lebensqualität zurückgewinnen können.

Herr Papsdorf, Sie sind langjähriger Sehhilfenberater bei Eschenbach Optik und geben Seminare und Inhouse-Schulungen für Optiker. Welche Punkte sind im Beratungsgespräch besonders wichtig, wenn ich Sehhilfen anpassen  will?

Bernd Papsdorf: Zunächst sollte man den Kunden auf die veränderte Sehsituation einstimmen und einer möglichen Ablehnung von vergrößernden Sehhilfen vorbeugen.

Dann geht es natürlich darum, den Kunden über seine Situation und die Möglichkeiten aufzuklären, seine Sehleistung mit zusätzlicher Vergrößerung und Licht zu verbessern.  

Das Wort „Sehbehinderung“ ist fachlich korrekt, doch wer sieht sich gern als  behindert?

Wichtig ist dabei, positive Formulierungen zu verwenden und auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden einzugehen. Für welche Situationen/Einsatzbereiche benötigt er eine Unterstützung und wie geschickt ist er im Umgang mit den Hilfsmitteln?  Entscheidend ist zudem, gemeinsam mit dem Kunden zu erarbeiten, welche Produkte ihm helfen, die für ihn wichtigen Sehaufgaben zu meistern, wie beispielsweise Kreuzworträtsel lösen oder die Tageszeitung lesen. Doch nicht nur das Zeigen der Produkte spielt eine große Rolle, sondern auch das gemeinsame Ausprobieren. Dabei habe ich selbst schon rührende Momente erlebt – zum Beispiel als einer Kundin beim Ausprobieren einer Standleuchtlupe vor Freude die Tränen kamen, weil sie so glücklich war, damit einen kleingedruckten Text wieder lesen zu können. Solche Situationen sind ein großer Ansporn für Augenoptiker – auch wenn eine Beratung rund um vergrößernde Sehhilfen zeitaufwändiger ist und mehr Fingerspitzengefühl erfordert. Am Ende ist der Augenoptiker der Problemlöser, der seinem Kunden Selbständigkeit und somit Lebensqualität zurückgibt. Und nicht vergessen darf man natürlich, dass zufriedene Kunden ihren Optiker auch weiterempfehlen.

Was genau bedeutet Neurokommunikation? Warum spielt sie so eine große Rolle im Beratungsgespräch?

Bernd Papsdorf: In der Neurokommunikation und Neuro-Emotionstheorie geht es darum, bei seinem Gegenüber ein gutes Gefühl zu erzeugen und dadurch zu erreichen, dass er sich verstanden fühlt und Vertrauen aufbaut. Und wie erreicht man das? Unter anderem durch die Verwendung positiver Formulierungen. Ein negatives Beispiel wäre, im Beratungsgespräch zum Kunden zu sagen: „Sie sind schwachsichtig, Sie brauchen eine Lupe.“ Positiv ist hingegen diese Formulierung: „Ihre Sehleistung hat sich verringert. Mit gutem Licht und Vergrößerung können Sie jedoch die für Sie wichtigen Sehaufgaben weiterhin selbständig bewältigen.“ Damit löst man beim Kunden positive Emotionen aus und wirkt einer negativen Stimmung und Ablehnung der Produkte entgegen. Grundsätzlich sollte man Begriffe vermeiden, mit denen die meisten Verbraucher eher negative Assoziationen verbinden, und diese durch positivere ersetzen. Beispiel: Das Wort Sehbehinderung ist natürlich ein fachlich korrekter Begriff, doch wer möchte schon gern als behindert bezeichnet werden? Besser ist es, wie in dem oben genannten Beispiel von einer Verringerung der Sehleistung zu sprechen und auch zu erklären, dass das Nachlassen der Sehschärfe im Alter ein ganz normaler Prozess ist. Wichtig ist, dass man dem Kunden nicht vorhält, was er jetzt nicht mehr kann, sondern was er dank moderner vergrößernder Sehhilfen wieder alleine meistern wird. Entscheidend ist dabei, dass man mit dem passenden Produkt auch sofort einen Seherfolg erzeugt, indem man den Kunden zum Beispiel einen Text mit und ohne die Sehhilfe lesen lässt. Beherzigt man als Optiker den Ansatz der Neurokommunikation und tritt als Problemlöser auf, kann man seinen Kunden nicht nur zu mehr Lebensqualität verhelfen, sondern zusätzlich durch Weiterempfehlungen neue Kunden gewinnen und somit auch seinen Umsatz steigern. Daher kann ich nur jedem Optiker dazu raten, sein Sortiment mit vergrößernden Sehhilfen und somit seinen Kundenkreis zu erweitern. Es lohnt sich auf jeden Fall!

Vielen Dank, Frau Alles und Herr Papsdorf!

Die Interviewpartner
Bernd Papsdorf, Dipl.-Ing und Sehhilfenberater, gibt für Eschenbach Optik Seminare und Inhouse-Fortbildungen zu verschiedenen Low Vision-Themen, die vor allem die Kundengruppe 60+ betreffen. Heike Alles ist bei Eschenbach Optik Ansprechpartnerin rund um das Thema Seminare und Veranstaltungen aus dem Bereich Professional Services VT.

Das Interview führte Rosemarie Frühauf. Text erschienen in OPTIC+VISION 4/2019.